BESCHNEIDUNG – RITUAL UND DOGMA

Nicht nur das Fernsehen, auch die deutsche Politik hat beschlossen, das Thema Beschneidung und Religion zu einer Grundsatzfrage zu machen. Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Cem Özdemir haben sich gegen die Strafbarkeit der Beschneidung ausgesprochen. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, in der steht, eine „medizinisch fachgerechte“ Beschneidung von männlichen Kindern solle grundsätzlich erlaubt sein. Die Regierung, so der Bundestag, soll bis Herbst eine Gesetzesvorlage dazu einbringen. Damit dürfte das Thema die Deutschen noch eine Weile beschäftigen. Schweigen wäre in all diesen Fällen Gold gewesen.

Jetzt ist es zu spät, das Urteil des Kölner Landgerichts einfach stehen zu lassen. Letztlich wird sich wohl das Bundesverfassungsgericht damit befassen müssen. Die wohl entscheidende Frage, mit der sich das BVG auseinanderszusetzen hat, ist, was das Wohl des Kindes ist. Steht es höher als das Recht der Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen? Dürfen die Eltern zu diesem Zweck ihr Kind auch ohrfeigen oder nur beschneiden?

Nun kann man durchaus der Auffassung sein, dass das deutsche Recht, das schon eine Ohrfeige als Körperverletzung unter Strafe stellt, nicht der Weisheit letzter Schluss sei. Doch auch eine leichte Ohrfeige, die körperlich nicht verletzt, gilt strafrechtlich als Beleidigung. Selbst wenn man den Eltern zugesteht, ihren Kindern leichte Ohrfeigen geben zu dürfen – es gibt schlimmere Beleidungen – , bleibt die Diskrepanz zwischen leichter oder kräftiger Ohrfeige und Beschneidung eklatant.

Grundsätzlich steht natürlich die Frage, kann es überhaupt für das Wohl eines Kindes gut sein, in einer religiösen Gemeinschaft aufzuwachsen. Doch so fundamental muss man ja nicht unbedingt argumentieren. Sicher ist jedoch, dass das beschnittene Kind eine deutlich weniger freie Wahl über seine Religionszugehörigkeit hat, als ein getauftes Kind. Was traumatischer ist, Beschneidung oder Taufe, soll einmal dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist eine Taufe keine Körperverletzung, sonst wäre das ja auch das Waschen des Kindes.

Natürlich sind Moslems und Juden keine Kinderquäler. Sie haben durchaus das Wohl des Kindes im Sinn. Mit derart fadenscheinigen Unterstellungen kann man einem viertausend Jahre alten Ritual nicht so leicht beikommen. Aber vielleicht mit einem Vergleich. Genauso denken nämlich die Eltern, die eine 10 000 Jahre alte oder auch länger währende Tradition, genannt Ohrfeige, weiterführen. Das mag begrifflich eindimensional sein, man kann es aber auch klar nennen. Es handelt sich in beiden Fällen um Körperverletzung, die religiös oder sonst irgendwie nicht zu rechtfertigen ist. Beides ist falsch und dem Wohl des Kindes abträglich.

Es ist auch überhaupt nicht einzusehen, weshalb das Argument der Soziologin Necla Kelek ignoriert wird, die meint, Rituale könnten kaum das Wesen der Religion ausmachen, könnten also durchaus geändert werden. Sonst, so müsste man folgern wären Religionen nichts weiter als Hokospokus und der Debatte, geschweige denn neuer Gesetze nicht wert

Über Werner Kastor

Lebe seit über 40 Jahren in England. Bin im Medienbereich tätig. Meine, Deutschland spielt weiterhin eine sehr wichtige Rolle in Europa. Verfolge daher die Ereignisse dort.
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