POLITISCHE UNION UND SCHEINHEILIGE DEMOKRATEN

Es ist richtig, dass die Mehrheit der Mitglieder der EU oder auch nur der Eurogruppe einer Politischen Union Europas heute nicht zustimmen würden. Politische Union (PU) heißt, eine Kommission, die nur vom Europäischen Parlament ernannt wird, ihm verantwortlich ist und als Regierung der EU handelt. PU heißt, dass der Europäische Rat eine zweite Kammer wird. PU heißt, dass der Vorrang der nationalen Exekutiven durch ein demokratisches, mit einer Stimme sprechendes, handlungsfähiges Europa beendet wird.

Die Kritik der Angelsachsen hat sich von Anbeginn darauf konzentriert, dass die EU kein einheitlich agierender Staat ist. FED-Chef Bernanke hat gerade erst diese Woche wieder darauf verwiesen, dass das Problem der EU sei, dass sie mit 27 Stimmen spräche. Auch Helmut Schmidts Kritik, es gebe keinen strategischen Kopf in dieser Krise, der auch handlungsbefugt sei, zielt in diese Richtung.

Alle bisher beschlossenen Maßnahmen der EU und der Eurozone stellen diesen Mangel nicht ab. Eine einheitliche Fiskalpolitik, so sie denn umgesetzt werden kann, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Die angestrebte neue europäische Bankenaufsicht ist das ebenfalls. Der Rettungsschirm EMS, das Kaufen von Staatsanleihen durch die EZB unter bestimmten Umständen, all das ist richtig, aber ungenügend. Ohne eine volle PU wird das alles Stückwerk bleiben.

Berthold Kohler von der FAZ hält das Streben nach einer PU jedoch für eine Glaubensblase, ein Dogma. Er warnt, man dürfe den Willen und die Sorgen der Völker nicht ignorieren. Es wäre eine Marginalisierung der nationalen Parlamente und damit der Demokratie warnt sein Kollege Klaus-Dieter Frankenberger. Unterm Strich weisen sich beide „kluge Köpfe“ von der FAZ damit als Gaullisten aus. L’Europe de patrie ist ihr unausgesprochener Wunsch, der sich auch noch als demokratiefreundlich posiert.

Der ganze Ansatz ist scheinheilig. Die Demokratie in Europa ist vor allem durch den Vorrang der nationalen Exekutiven im Rahmen der EU ausgehöhlt worden. Es ist natürlich einfacher, sich auf Regierungsebene zu einigen, als die Parlamente alle mitsprechen zu lassen. Es ist dieser „Pragmatismus“, der schädlich für die Demokratie ist.

Der ökonomische Unterbau schafft sich langfristig den ihm gebührenden politischen Überbau. Das kann dauern und der Weg dahin ist keineswegs geradlinig. Niemand bestreitet ernsthaft die wirtschaftlichen Vorteile, die die EU den Nationalstaaten gebracht hat. Niemand wird also die EU auflösen wollen. Deshalb geht der Prozess weiter, der letztlich zu einem „passenden“ politischen Überbau führen wird.

Es ist, wie gesagt, richtig, dass die Bevölkerung der EU mehrheitlich nicht möchte, dass die nationale Souveränität weiter beschränkt wird. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Z. B. könnten die Europapolitiker den Wünschen und Sorgen ihrer Bevölkerung einen Schritt voraus sein und entsprechend handeln. Es könnte aber auch sein, dass wir eine weitere tiefe Krise erleben müssen, bevor sich Einsichten durchsetzen, die zur PU führen.

Über Werner Kastor

Lebe seit über 40 Jahren in England. Bin im Medienbereich tätig. Meine, Deutschland spielt weiterhin eine sehr wichtige Rolle in Europa. Verfolge daher die Ereignisse dort.
Dieser Beitrag wurde unter DEUTSCHLAND veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar